Von göttlicher Macht zum physikalischen Gesetz: Die Geschichte der Astronomie
Seit jeher blickten wir Menschen zum Himmel und richteten unser Leben nach dem Lauf der Gestirne. Wir beobachteten und zogen Schlussfolgerungen – die Astronomie war geboren. Diese Wissenschaft ist viel mehr als eine bloße Abfolge von Entdeckungen, als die sie in Lehrbüchern oft dargestellt wird. In dieser Ausstellung werden wir den gesellschaftlichen Hintergründen nachspüren. Folgen Sie uns, wenn wir anhand von spannenden Werken aus unserer Sammlung aufzeigen, wie und wieso die Astronomie die Welt verändert hat.
Zu den Stationenvon
Ursula Kampmann und Daniel Baumbach
Station 1 – Der Blick von der Erde
Die Himmelskörper waren schon immer da. Und schon immer schaute der Mensch nach oben, beobachtete und entdeckte Veränderungen, die seine Umgebung beeinflussten. Ganz egal, wie man sich in den verschiedenen Kulturen und Religionen den Kosmos vorstellte und wie man sich erklärte, warum die Sonne morgens auf- und abends unterging: durch die bloße Beobachtung von Sonne, Mond und Sternen ließen sich Muster erkennen, die den Menschen halfen, sich in Raum und Zeit zu orientieren. Wer vermerkte, wie sich die Gestirne bewegten, konnte daraus Regeln für ihren zukünftigen Weg am Himmel ableiten, ohne eine genaue Vorstellung des Alls zu haben.
Die Bücher der ersten Station zeigen auf, wie der Mensch Sonne und Sterne nutzte, um die Zeit und seine geographische Position zu bestimmen. Sie zeigen außerdem, wie diese Methoden im Laufe der Geschichte mit Hilfe der Mathematik und von Messinstrumenten verfeinert wurden.
1.1 Die Sonne als Zeitmesser
Von Anbeginn bestimmte der Lauf der Sonne den Alltag der Menschen. Schon früh erkannte man die Sonnenwenden als wichtige Fixpunkte im Jahr. Von Stonehenge bis nach Ägypten gibt es zahllose Beispiele von früher Architektur, die beweisen, wie genau man die Position der Sonne an diesen Tagen vorhersagen konnte. Ein um 3100 v. Chr. entstandenes Hügelgrab in Irland wurde beispielsweise so ausgerichtet, dass die Grabkammer nur an den Tagen um die Wintersonnenwende von Sonnenstrahlen erreicht wurde – eine Meisterleistung seiner Schöpfer, die uns die religiöse Bedeutung der Sonnenwenden aufzeigt.
Ganz selbstverständlich bestimmte man mit Hilfe des Sonnenstands die Tageszeit. Mit dem wandernden Schatten eines Stabes unterteilten die Ägypter bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. den Tag in so etwas wie Stunden. Bei den Griechen und Römern waren Sonnenuhren allgegenwärtig.
Man mag glauben, dass Sonnenuhren mit dem Aufkommen mechanischer Taschenuhren bedeutungslos geworden wären, aber dem war nicht so. In der Frühneuzeit erlebten die Sonnenuhren eine neue Blüte und blieben bis ins 18. Jahrhundert die wichtigste Form der Zeitmessung. Unser Buch, 1755 verfasst, zeugt davon. Es ist ein Kompendium, das der Funktionsweise und dem Bau von Sonnenuhren gewidmet ist. Schon an seinem Umfang wird deutlich, dass Sonnenuhren inzwischen mehr waren als ein Stab und ein Paar Kerben im Stein. Fortgeschrittene Kenntnisse der Astronomie und Mathematik hatten aus ihnen hochpräzise Messinstrumente gemacht. Mit Sonnenuhren konnte man die Zeit zwar nicht minutengenau ermitteln, dafür gingen sie immer richtig. Taschenuhren mussten wegen ihrer störungsanfälligen Uhrwerke jeden Tag neu justiert werden, bevorzugt zur Mittagsstunde anhand der Sonnenuhr.
Frühe Sonnenuhren konnten nur Stunden, keine Minuten messen. Im 18. Jahrhundert war das bis zu einem gewissen Grad möglich. Die Uhren wurden deutlich genauer, sobald man sie entsprechend dem Längengrad und der Jahreszeit justierte. Die abgebildeten Seiten veranschaulichen die Theorie der verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten.
Die Herstellung präziser Sonnenuhren war also ein komplexes Unterfangen, das auf astronomischen Kenntnissen basierte – und auf Mathematik. Die Lehre von den Sonnenuhren war daher eine eigene Disziplin, Gnomonik genannt, abgeleitet von Gnomon, der griechischen Bezeichnung für den Schattenstab der Sonnenuhr. Daher der Titel dieses Lehrbuchs: Gnomonica Fundamentalis & Mechanica.
Der Autor unseres Buchs über die Sonnenuhren verstand sich als Mathematiker. Johann Friedrich Penther (1693-1749) verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Ingenieur, indem er verschiedene Aufgaben mit Hilfe angewandter Mathematik löste. Er vermaß Grundstücke oder berechnete die Flugbahn von Kanonenkugeln. Deutlich erkennbar auf seinem Porträt ist übrigens die Sonnenuhr, die wir bereits von der vorletzten Station kennen.
Eine gewisse Berühmtheit erlangte Penther für den Bau einer innovativen Sandsteinfigur, die heute vor der Wolfenbütteler Bibliothek steht. An ihr befinden sich ganze zwölf Sonnenuhren. Penther hielt in seinem grundlegenden Buch fest, was es brauchte, um so eine Sonnenuhr zu konstruieren – und das war Mathematik.
1.2 Nach den Gestirnen
Schon in der Antike konnten Gelehrte anhand der Bewegungen am Sternenhimmel sich zu bestimmten Jahreszeiten wiederholende Naturphänomene vorhersagen. Ein gutes Beispiel dafür ist der auffällig helle Doppelstern Sirius im Sternbild Großer Hund, auch Hundestern genannt. Sein Auftauchen verkündete für die Ägypter den baldigen Beginn der wichtigen Nilschwemme. Die Römer leiteten aus dem Erscheinen des Sterns ab, dass die wärmste Zeit des Jahres begann – die nach ihm benannten Hundstage.
Praktischen Nutzen hatten Sterne für die Orientierung. Besonders Seefahrer hielten ihren Kurs auch fernab der Küste in tiefer Nacht mit Hilfe von Sternenkonstellationen wie dem Kreuz des Südens oder dem Polarstern.
Dieses im Jahr 1602 publizierte Buch gibt uns einen Einblick, über welche astronomischen Kenntnisse die Kapitäne und Steuermänner verfügten, um in der frühen Neuzeit ihren Weg über das Mittelmeer zu finden. Sein Titel lautet Nautica Mediterranea. Sein Verfasser, Bartolomeo Crescenzio Romano, war als Kommandant der päpstlichen Flotte ein ausgewiesener Experte der Mittelmeer-Schifffahrt. Er fasste darin alles, was es um 1600 über die Seefahrt auf dem Mittelmeer zu wissen gab, zusammen: Schiffbau und Wetterverhältnisse, die wichtigsten Häfen und die Gefahren, die von Seiten des Osmanischen Reiches drohten. Für uns sind vor allem seine Ausführungen zur Navigation interessant. Er zeigte Methoden und Instrumente, mit denen Seefahrer die Zeit und ihre Position anhand der Sterne und der Sonne bestimmen konnten. Romanos Werk macht deutlich, welche Fortschritte die Astronomie in seiner Epoche gemacht hatte. Er griff auf den aktuellen Wissensstand zurück und erklärte dessen Anwendung für die Seefahrt.
Sonnenuhren funktionieren in der Nacht nicht. Da Seeleute auch nachts auf eine grobe Zeiterfassung angewiesen waren – beispielweise um festzustellen, wie viele Stunden man einen Kurs beibehalten hatte – beschrieb Romano Methoden, um zu zählen, wie viele Nachtstunden verstrichen sind.
Für Seeleute im Zeitalter der Segelschiffe war es von zentraler Bedeutung, die günstigsten Windströmungen zu nutzen. Diese Seite illustriert, wie man den Nordwind Tramontana im Mittelmeer anhand von Sternenkonstellationen findet.
Zum unverzichtbaren Handwerkszeug der Seeleute gehörte der Jakobstab, auf italienisch Balestriglia. Das abgebildete Exemplar stammt aus dem 17. Jahrhundert. Mit diesem simplen Gerät maß man mit Hilfe von verschiebbaren Querbalken den Winkel zwischen zwei Punkten, wie diese Skizze zeigt. Seeleute maßen so den Winkel zwischen Horizont und angepeilten Sternen, um zu ermitteln, auf welchem Breitengrad sich ihr Schiff befand.
Gewidmet hatte der in päpstlichen Diensten stehende Romano sein Buch Kardinal Pietro Aldobrandini, dem Neffen von Papst Clemens VIII. Der Vatikan dürfte über die Widmung und den astronomischen Gehalt dieses Buch erfreut gewesen sein. Schließlich unterstrich das Buch u. a. die Kompetenz der Kirche in astronomischen Fragen. Doch was hatte der Heilige Stuhl mit der Astronomie zu tun?
Station 2 – Die Kirche und die Lehre der Astronomie
Die ganze Welt legt heute Termine nach dem gregorianischen Kalender fest. Benannt ist er nach Papst Gregor XIII., der ihn als Verbesserung des Kalenders von Julius Cäsar einführen ließ. Doch was kümmerte den Papst eigentlich der Kalender? Wieso war eine Reform nötig? Und wer leistete die mathematische Arbeit für eine so maßgebliche Reform, die wir bis zum heutigen Tage unverändert beibehalten haben?
Diese Fragen führen uns mitten hinein in das Verhältnis zwischen Astronomie und Kirche. Zunächst stellen wir Ihnen einen Astronomen vor, dessen Werk aus dem 13. Jahrhundert rund 300 Jahre lang das Lehrbuch der Astronomie in Europa sein sollte. Mit dem zweiten Buch kommen wir zu dem Mann, der die Einführung unseres heutigen Kalenders umgesetzt hat. Beide zeigen uns, dass Kirche und Wissenschaft sich nicht diametral entgegenstanden, wie es gern dargestellt wird, sondern die Wissenschaft innerhalb der Kirche stattfand.
2.1 Wiederentdecktes Wissen
Die Astronomie war im Mittelalter und darüber hinaus ein hochangesehenes Fach. Sie war eine der sieben freien Künste, die jeder studiert haben musste, ob er nun Theologe, Jurist oder Mediziner werden wollte. Wer im frühen 13. Jahrhundert an der Universität von Paris studierte, hatte die Chance, dem einflussreichsten Astronomen des europäischen Mittelalters zu lauschen, wie er aus seinem epochemachenden Werk Tractatus de Sphaera vorlas. Er hieß Johannes von Sacrobosco und war Mönch. Sein Werk entstand um 1230.
Das Revolutionäre an Sacroboscos Traktat waren nicht seine eigenen Erkenntnisse. Sein Verdienst war es, dass er die erst kürzlich wiederentdeckten Astronomie-Kenntnisse der antiken Autoren verbreitete. Mehr noch: Er ergänzte, was die Gelehrten in Byzanz und im Orient in knapp 1000 Jahren der intensiven Beschäftigung mit den antiken Schriften herausgefunden hatten. Kurz: Er brachte Europa auf den aktuellen Stand der Forschung.
Über die Mitschriften seiner Studenten verbreitete sich das Traktat schon vor der Erfindung des Buchdrucks über den ganzen Kontinent und wurde in diverse Sprachen übersetzt. Mit dem Buchdruck etablierte es sich endgültig als das Standartwerk der Zeit zum Thema Astronomie und bliebt es bis ins 16. Jahrhundert. Bis zum Jahr 1650 erschienen 240 Drucke vom Tractatus de Sphaera.
Der Erfolg des Traktats hatte einen guten Grund. Es war nicht nur didaktisch hervorragend aufbereitet, sondern auch auf dem neuesten Stand der Forschung. Sacrobosco benutzte die arabischen Ziffern, mit denen es sich viel leichter rechnen ließ. Damit war er einer der ersten westlichen Gelehrten, die dies taten.
Die Grundlage für Sacroboscos Werk war die Mathematike Syntaxis des Claudius Ptolemaios, die man damals unter dem arabischen Begriff Almagest kannte. Sacrobosco berücksichtige die Kommentare der arabischen Astronomen zu diesem Text, sofern sie in lateinischer Übersetzung vorlagen. Zu ihnen gehörte Al-Farghani, ein Astronom, der um 800 in Bagdad lebte. In Latein wurde aus ihm Alfraganus.
Basierend auf Aristoteles und Ptolemaios lag Sacroboscos Ausführungen ein geozentrisches Weltbild zu Grunde. In der Mitte des Kosmos sah Sacrobosco die Weltkugel, die von den Planeten und der Sonne umkreist wurde. Weiter außen drehte sich das Firmament, eine Kugel, an der sich die Fixsterne befanden. Jenseits davon verortete er die göttliche Sphäre, die den Kosmos umhüllte.
Bei der Beobachtung der Planeten von der Erde aus kamen Sacrobosco und andere Autoren zu einem merkwürdigen Ergebnis: Die Bahnen erschienen nicht linear, sondern zeigten merkwürdige Schleifen. Ein Schönheitsfehler im göttlichen System, der die Vorausberechnung der Umlaufbahnen enorm kompliziert machte.
Unsere Fassung vom Tractatus de Sphaera wurde 1591 in Köln gedruckt und umfasst die Kommentare mehrerer bedeutender Astronomen zu Sacroboscos Texten. Solche kommentierten Veröffentlichungen waren in der Astronomie üblich. Auch das Werk, das den Traktat von Sacrobosco als wichtigstes astronomisches Werk ablösen sollte, war dem Namen nach nur ein Kommentar zu Sacrobosco. Verfasst hat ihn Christopher Clavius.
2.2. Was der Papst mit dem Kalender zu tun hat
Christopher Clavius, 1538 in Bamberg geboren, war einer der talentiertesten Mathematiker seiner Zeit. Er hatte bei den Jesuiten eine hervorragende Ausbildung genossen und folgte später dem Ruf des Vatikans nach Rom. Schließlich gehörte die Kirche zu den wichtigsten Förderern der Astronomie und leistete sich die schlausten Köpfe ihrer Zeit. Clavius und seine Kollegen arbeiteten als sogenannte Computisten. Ihre Aufgabe war es, den jüdischen Mondkalender mit dem römischen, nach der Sonne berechneten Kirchenjahr in Einklang zu bringen. Das war nötig, um das Datum des Osterfestes zu berechnen. Solche Fragen fielen in das Aufgabengebiet des Papstes. Er erhob Anspruch auf den römischen Titel des Pontifex Maximus, und in römischer Zeit war der Pontifex Maximus als oberster Priester unter anderem für die Erstellung des Kalenders zuständig gewesen.
Der letzte Pontifex Maximus, der eine Kalenderreform durchgeführt hatte, war Julius Caesar gewesen. Doch seine Astronomen hatten sich leicht verrechnet. Ihr Rechenfehler addierte sich nach ca. 1500 Jahren auf rund 10 Tage. Deshalb war eine neue Kalenderreform notwendig, die von päpstlichen Astronomen vorbereitet wurde. Wir sehen: Es war nicht so, dass sich der Vatikan nicht für den astronomischen Fortschritt interessierte – im Gegenteil, er war es, der ihn ermöglichte.
Die Umsetzung der Kalenderreform von 1582 legte Papst Gregor XIII. in die Hände des Computisten und Leiters der päpstlichen Sternwarte Christopher Clavius. Clavius genoss europaweit den Ruf eines herausragenden Mathematikers und Astronomen. Das lag hauptsächlich an seinem richtungsweisenden Werk zur Astronomie, von dem wir ein Exemplar in unserer Bibliothek haben. Bescheiden bezeichnete Clavius sein Buch von 1570 als einen weiteren Kommentar zu Sacrobosco. In Wahrheit war es viel mehr, was wir daran sehen, dass es sich an den Universitäten als das grundlegende Lehrbuch der Astronomie durchsetzte. Bis zu seinem Lebensende 1612 legte Clavius regelmäßig aktualisierte Fassungen vor, um die neuesten Forschungserkenntnisse zu berücksichtigen, beispielsweise die von Galileo Galilei.
Wie wir hier sehen, übertrafen die von Clavius verfassten Passagen die Länge des kommentierten Textes von Sacrobosco, hier Kursiv, um ein Vielfaches. Teilweise wurden einzelne Sätze von Sacrobosco durch ganze Kapitel kommentiert.
Die kirchlichen Computisten verwendeten alles, was ihnen die Rechenarbeit erleichterte. Auch die Erkenntnisse von Kopernikus flossen daher in ihre Arbeit und dieses Buch mit ein. Legte man dessen heliozentrisches Weltmodell zugrunde, fielen auf einen Schlag all die lästigen Schleifen der Gestirne weg, die so schwierig zu berechnen waren. Dieses praktische Zugeständnis änderte nichts an der prinzipiellen Feststellung von Clavius, dass nur die Erde im Zentrum des Kosmos sein könne, nicht die Sonne.
Wer In sphaeram Ionnis de Sacro Bosco commentarius durchblättert, merkt schnell: Astronomie ist Mathematik. Unser Exemplar besteht zu gut einem Fünftel aus Tabellen, in denen Messdaten zu Planetenbewegungen und Vorhersagen künftiger Planetenstellungen festgehalten sind.
Clavius gab sein Lehrbuch sieben Mal neu heraus, um es auf dem neuesten Stand der Forschung zu halten. Unsere Ausgabe erschien 1596 in Venedig. In den sechs Jahren nach seinem Tod erschienen neun weitere Überarbeitungen. Warum explodierte das astronomische Wissen in der Zeit um 1600 derart, dass dieses grundlegende Werk ständig ergänzt werden musste? Und wieso schluckte der Buchmarkt derart viele Ausgaben?
Station 3 – Neue Bedingungen
Um 1600 veränderten sich die Bedingungen für Astronomen grundlegend. Das allgemeine Interesse am Fach stieg sprunghaft an. Auslöser dafür war vor allem die Einführung des neuen Gregorianischen Kalenders. Die Diskussionen über ihn sorgten dafür, dass die Astronomie plötzlich in aller Munde war und zur Modewissenschaft der Zeit wurde. Viel mehr Astronomen fanden eine Beschäftigung. Um sich für einen möglichst hoch dotierten Posten zu empfehlen, war es unabdingbar, zu publizieren. So entstanden mehr astronomische Bücher als je zuvor, durch die das Wissen über die Gestirne explodierte.
Mit dem ersten Buch dieser Station schauen wir uns an, wie sich die Kalenderreform auf den Alltag der Menschen auswirkte und wie die Astronomie im Alltag der Menschen ankam. Unser zweites Buch führt uns vor Augen, von welch entscheidender Bedeutung der technische Fortschritt für den astronomischen Erkenntnisstand war.
3.1 Die Welt aus den Fugen, die Astronomie in aller Munde
Die Einführung des Gregorianischen Kalenders hatte zur Folge, dass zehn Tage im Oktober 1582 übersprungen wurden. Auf päpstlichen Erlass folgte in diesem Jahr auf den 4. der 15. Oktober – zumindest in den Teilen Europas, die dem Papst gehorchten. Die protestantischen Länder und Fürsten in Nordeuropa lehnten die Kalenderreform ab. Mit der Übernahme des Kalenders hätten sie den Papst als Pontifex Maximus anerkannt, ein Titel, der nicht nur die Oberhoheit über den Kalender, sondern über alle Glaubensfragen implizierte – völlig unmöglich für Protestanten. Nun gab es zwei abweichende Kalender in Europa. Besonders dort, wo die Religionen geographisch eng miteinander benachbart waren, wie in der Eidgenossenschaft, führte das zu handfesten Problemen – plötzlich hatten beispielsweise manche Städte und ihr Umland Kalender, die um 10 Tage voneinander abwichen!
Das Thema betraf alle. Rege Diskussionen wurden über den Sinn der Reform geführt, weit außerhalb der Kreise, die normalerweise über Fragen der Astronomie debattiert hätten. Die Astronomie erreichte Märkte und Wirtshäuser.
Auf welchem Niveau die Bürger im Heiligen Römischen Reich damals diskutierten, darüber informiert uns die vorliegende Broschüre. Sie stammt aus dem Jahr der Kalenderreform. Ihr Autor, Nicolaus Winckler, reicherte seine Weltuntergangsprophezeiungen mit detaillierten Informationen zu bevorstehenden Planetenkonstellationen an.
Für uns ist Wincklers Broschüre deshalb so interessant, weil sie zeigt, welches Vorwissen ein populärer Autor bei seiner Zielgruppe, dem Deutsch lesenden gebildeten Bürgertum, voraussetzen konnte. Seine Leser kannten Fachbegriffe wie den der Konjunktion, also der scheinbaren Begegnung zweier Himmelskörper. Sie wussten, wie die Planeten sowie die wichtigsten Sternzeichen hießen und mit welchen Kürzeln sie bezeichnet wurden. Die Astronomie war deutlich weiter in die bürgerlichen Kreise vorgedrungen, als das zuvor der Fall gewesen war.
Wie dem Titelblatt zu entnehmen ist, war Winckler eigentlich Doktor der Medizin und Stadtarzt von Schwäbisch Hall. Als Vorbedingung seines Medizinstudiums musste er – wir erinnern uns – auch Astronomie-Kenntnisse erwerben. Die nutzte er, um mit diesem populären Thema seine Abhandlungen attraktiver zu machen. Wir können davon ausgehen, dass er auch Horoskope verkaufte. Die Astrologie galt damals genauso als Wissenschaft wie die Astronomie.
Ein kleiner Einblick in die astrologischen Schauergeschichten, die Winckler auftischt: Auf dieser Seite ist vom sehr blutdurstigen Stern Aldebaran die Rede sowie von der großen und sehr gefährlichen Konjunktion von Saturn und Mars. Die Folge: Tyrannei, Christenverfolgung und anrückende Türken; „dann wird es den Menschen Angst und Bang auff Erden werden zu leben.“
Winckler widmete dieses Buch dem Grafen Georg Friedrich von Hohenlohe-Neuenstein-Weikersheim. Auch Fürsten pflegten damals gern das Image der astronomischen Bildung. Solche Widmungen entsprechender Werke wurden mit wertvollen Geschenken entlohnt.
Wer es sich leisten konnte, besoldete einen Hofastronomen. Einer von ihnen, der Protégé des dänischen Königs Tycho Brahe, erstellte in jahrelanger Kleinstarbeit ein aufwändiges Zahlenwerk, das zur Grundlage für die wegweisenden Forschungen eines Johannes Kepler werden konnte.
3.2 Was für den Blick in die Sterne nötig ist
Um 1600 blühte nicht nur die Astronomie, sondern auch die Glasherstellung auf. Das Zentrum der Glasherstellung war in dieser Zeit Venedig. In den Werkstätten von Murano entdeckte man damals laufend neue Methoden, reineres oder besonders gefärbtes Glas herzustellen. 1612 verfasste der Priester und Glasexperte Antonio Neri das erste systematische Kompendium zu Glas und Glasherstellung: L’Arte Vetraria – Die Kunst des Glases.
Unsere Ausgabe von Neris Werk beweist, dass es über Jahrhunderte europaweit das Standardwerk zur Glasherstellung blieb. Sie erschien 1785. Es handelt sich um einen Nachdruck der deutschen Erstausgabe, die der Glasmacher Johannes Kunckel 1679 veröffentlichte. Seine Fassung basierte wiederrum auf der englischen Übersetzung von Neris Werk, die 1662 in London erschien.
Es ist kein Wunder, dass dieses Buch so lange verbreitet war, verliert es sich doch nicht in der Theorie, sondern beschreibt ganz praktisch, wie welche Arten, Farben und Formen von Glas herzustellen sind.
Neris Arbeit beschreibt den Fortschritt, den die Glasbläser von Murano vor anderen Glasfabrikanten hatten. Dieser Fortschritt trug entscheidend zu den Entdeckungen Galileo Galileis bei. Der arbeitete seit 1592 als Dozent an der venezianischen Universität in Padua und besserte sich das kleine Einkommen mit der Herstellung von wissenschaftlichen Apparaten und Brillen auf. In dieser Funktion hatte er engsten Kontakt mit den Glasbläsern von Murano.
Als er nun 1608 von der niederländischen Erfindung eines Fernrohrs hörte und diese mit eigenen Linsen nachbaute, waren seine Instrumente besser als die seiner Konkurrenten. So sah er genauer als je ein Mensch vor ihm, was sich am Himmel ereignete. So entdeckte er unter anderem vier Jupitermonde.
Um seinen Vorsprung zu halten, bemühte sich Galilei ständig, die Linsen zu verbessern. Er stellte sogar selbst Glas her, wozu er sicher Neris Abhandlung konsultierte. Es ist überliefert, dass Galilei ein Exemplar besaß und eines an einen Kollegen in Rom schickte. Auch wegen des besseren Glases waren Galileos spätere Fernrohre deutlich stärker als seine ersten Versuche.
Auf dieser Seite sind die Grundlagen der Herstellung von Kristallglas beschrieben, dem Cristallo. Es galt als klarstes, reinstes Glas seiner Zeit und eignete sich hervorragend für die Herstellung von Linsen. Galilei bemühte sich lange um den direkten Kontakt zu seinen Erzeugern.
1610 veröffentlichte Galilei seine astronomischen Beobachtungen mithilfe des Fernrohrs in der Schrift Sidereus Nuncius, was sich als Sternenbote übersetzen lässt. Er beschrieb darin die Funktionsweise eines Fernrohrs, die von ihm entdeckten vier großen Jupitermonde und lieferte genauere Abbildungen des Mondes, als sie seine Zeitgenossen je gesehen hatten.
Unsere deutsche Ausgabe des Buches von Neri wurde vom Alchemisten Johannes Kunckel (1630-1703) herausgegeben. Alchemisten waren die Chemiker ihrer Zeit. Sie suchten nach neuen Verbindungen, primär nach Gold. Das tat auch Kunckel am sächsischen Hof, ehe er – finanziert vom Brandenburger Kurfürsten – zum bekanntesten Glashersteller seiner Zeit avancierte. Der schwedische König erhob ihn für seine Verdienste in den Adelsstand.
In Vollkommene Glasmacherkunst publizierte Kunckel das Lehrbuch Neris erstmals in deutscher Sprache. Dazwischen schob der erfahrene Glasmacher Kapitel mit seinen eigenen Anmerkungen zu Neris Methoden ein. Genau so hatte es der englische Übersetzer einige Jahrzehnte zuvor gemacht. So blieb Neris Schrift trotz ihres Alters auf dem neusten Stand.
Station 4 – Galileo Galilei – ein Märtyrer der Wissenschaft?
Galileo Galilei war unbestritten einer der wichtigsten Astronomen der Geschichte. Doch tendiert die Nachwelt dazu, aus bedeutenden Menschen noch bedeutendere zu machen. So vergisst man, dass Galileis Schaffen auf den Leistungen anderer Astronomen wie Kepler, Brahe, Kopernikus und Clavius aufbaute – und er mit seinem Fernrohr auch die nötige Portion Glück hatte.
Heute sehen wir Galilei gerne als eine Art Luther der Wissenschaft, der gegen das Joch der Kirche aufbegehrte. Ein genauerer Blick offenbart schnell: das war er keineswegs. Diese Station trennt den realen vom verklärten Galileo Galilei.
4.1 Der historische Galilei
Auch ein Galileo Galilei musste sein Auskommen sichern und war begierig darauf, Karriere zu machen. Sein Sternenbote war als Empfehlungsschreiben an Herzog Cosimo II de Medici angelegt. Galilei widmete ihm dieses Werk und nannte die mit seinem Fernrohr entdeckten Jupitermonde Sterne der Medici. Als Cosimo erkannte, dass der Sternenbote tatsächlich europaweit Beifall fand, nahm er Galilei in seine Dienste. Allerdings hatte der Herzog kein Interesse daran, dass sein Schützling durch zu steile Thesen in Konflikt mit der Kirche geriet. Vielleicht hatte deshalb Galileis erste Schrift in Cosimos Diensten aus Rücksicht auf seinen neuen Schutzherrn nichts mit Astronomie zu tun.
Sprengkraft hatte sie trotzdem, auch wenn der Titel zunächst nicht danach klingen mag. Im Diskurs über schwimmende Körper von 1612 ging es um die Frage, warum feste Körper wie Eis auf dem Wasser schwimmen. Dieser Veröffentlichung folgten heftige Debatten. Mit seiner – völlig korrekten – These, dass Objekte nicht wegen ihrer Form, sondern wegen ihrer geringeren Dichte auf dem Wasser schwimmen, widersprach Galilei nämlich Aristoteles. Der galt manch einem noch immer als eine unantastbare Instanz, der man schlicht nicht widersprechen durfte. Die Aristoteles-Anhänger hielten also energisch dagegen. Es entstand also ein Streit darüber, wie die Welt in Zukunft erklärt werden sollte, mittels Hypothese und Beweis oder mittels Zitaten aus den Werken glorifizierter Autoritäten.
Gern wird behauptet, es sei ein großer Teil der damaligen Gelehrtenwelt gewesen, der Galilei widersprochen hätte. Das stimmt nicht. Es waren einige wenige. Über die vehemente Sturheit der Aristoteles-Anhänger machten sich schon die Zeitgenossen lustig. Ludovico delle Colombe war der wichtigste Gegner Galileis in dieser Angelegenheit. Hier sehen wir das Titelbild seiner Antwort auf Galileis Traktat.
Unser Exemplar der Discorsi Galileis wurde 1655 vom Bologneser Buchdrucker Evangelista Dozza veröffentlicht. Er entschied, Galileis Traktat mit zwei Streitschriften der führenden Aristoteliker zusammenzubinden: Colombe und Vincento Di Gratia. Zum Zeitpunkt der Publikation waren deren Meinungen längst widerlegt. Ihre Schriften abzudrucken konnte kaum einen anderen Zweck haben, als Galileis Genie heller glänzen zu lassen – und damit begann die Verklärung.
Galilei leitete seinen Traktat zu den schwimmenden Körpern damit ein, seinen Lesern zu versichern, er habe sich nicht von der Astronomie abgewandt. Das hatte er tatsächlich nicht getan. Doch auch in der Astronomie hätte er zu gerne mit Beweisen gearbeitet, und das war zu seinen Lebzeiten nicht erlaubt.
4.2 Der verklärte Galilei
Die Kirche, durch die Reformation in die Defensive gedrängt, wehrte sich um 1600 strikt gegen alles, was ihre Autorität in Fragen der Schriftdeutung einzuschränken schien, besonders in Italien. Als Karrierist ließ Galilei in seinen astronomischen Schriften deshalb stets große Vorsicht walten. Alles, was den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellte, war tabu. Erlaubt war lediglich, das kopernikanische System, dass die Erde um die Sonne kreise, als Hypothese zu behandeln. Und so hütete sich Galilei davor, eigene Folgerungen aus seinen Entdeckungen zu formulieren. Erst 1632 vergaß er seine Vorsicht im berühmten Dialog über die zwei Weltsysteme. Er gab die kirchlichen Positionen der Lächerlichkeit preis und schätzte damit völlig falsch ein, was ihm sein Förderer, der Papst, durchgehen lassen würde.
Im berühmten Inquisitionsprozess von 1633 ruderte Galilei sofort zurück. Er verteidigte das kopernikanische System nicht, beteuerte, eigentlich sogar das Gegenteil gemeint zu haben, schwor dem Geschriebenen ab und bat um Gnade.
Heute haben wir die Szene ganz anders vor Augen, nämlich etwa so, wie sie uns dieses Historiengemälde von 1847 zeigt: Ein mutiger Galilei steht vor den Inquisitoren trotzig zur Wahrheit. Wie kommt es, dass wir ihn heute als großen Kämpfer gegen die kirchliche Unterdrückung der Wissenschaft kennen?
In der Aufklärung etablierte sich ein Mythos: In der Geschichte hätten Kirche und Wissenschaft gegeneinander gekämpft, der Vatikan sei ein Hort des Aberglaubens und des Stillstands gewesen. Wie wenig diese Interpretation zutrifft, das zeigen unsere letzten Stationen. Dennoch setzte sich diese Erzählung durch. Den absolut herrschenden Fürsten und später den Nationalstaaten bot diese Lesart einen guten Vorwand, jede Einmischung des Papstes zu unterbinden. Der bekannte, von der Kirche angeklagte Galilei eignete sich hervorragend, um zum Märtyrer stilisiert zu werden. Das Erstaunliche ist, dass diese Erzählung bis heute kaum hinterfragt wird. Die berühmten Worte Und sie bewegt sich doch, die Galilei bei dem Prozess noch rebellisch gemurmelt haben soll, wurden erstmals 1757 niedergeschrieben – über ein Jahrhundert nach seinem Tod.
Am langen Nachwirken der Verklärung sind vor allem zwei Bücher des späten 19. Jahrhunderts schuld: John William Drapers History of the Conflict between Religion and Science von 1874 und Andrew Dickson Whites A History of the Warfare of Science with Theology in Christendom von 1896. Beide waren sehr erfolgreich, wurden vielfach aufgelegt und übersetzt. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich ihre antikatholische Lesart der Geschichte bis in die Klassenzimmer als gängige Erzählung etablieren konnte.
Auch durch Berthold Brecht wurde Galileis Kampf mit den Inquisitoren zu einem bekannten Thema. Freilich ging es Brecht in seinem Leben des Galilei um etwas ganz anderes als das Verhältnis von Kirche und Wissenschaft: Geprägt vom Dritten Reich und Hiroshima thematisierte er den Machtmissbrauch durch Ideologien und die Verantwortung des Wissenschaftlers.
Die Inquisition verurteilte den reumütigen Galilei zu einem recht bequemen Hausarrest. Andere waren weniger fügsam und hatten entsprechende Folgen zu tragen. Vor allem wenn sie wie Giordano Bruno ihre astronomischen Hypothesen mit Angriffen auf die päpstliche Deutung der heiligen Schrift kombinierten, war das schrecklich Ende vorherzusehen. Giordano Bruno wurde 1600 als Ketzer verbrannt.
Station 5 – Newton offenbart den Sterblichen das Universum
Die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes ließ sich nicht totschweigen. Es brach die Zeit der Aufklärung an, in der die Gelehrten die Freiheit des rationalen Denkens zu ihrer Maxime machten. Sir Isaac Newton (1643-1727), der Mann mit dem Apfel, wurde zum Symbol für den phänomenalen Fortschritt der Wissenschaft in dieser Epoche. Newton legte die Grundlagen der modernen Physik. Sein Hauptwerk Principia Mathematica gilt als eines der bedeutendsten Werke der Wissenschaft. Was der Meister jedoch überhaupt nicht konnte, war, seine Lorbeeren zu teilen. Unser erstes Buch der Station führt uns mitten hinein in die damaligen Grabenkämpfe um Ruhm und Anerkennung, aus denen Newton als Gewinner und völlig verklärtes Genie hervorging.
Hatte Newton noch seine Peers und Förderer im Kopf, wenn er seine Werke formulierte, kam nach ihm ein neuer Schlag von Wissenschaftlern. Sie wollten die komplexen Regeln der Natur so ausdrücken, dass auch die einfachen Menschen sie verstanden. Zu ihnen gehörte James Ferguson, um dessen Erklärungen zu Newton es im zweiten Teil der Station geht.
5.1. Superstar Newton – Verklärung in der Aufklärung
1660 wurde in London die Royal Society gegründet. In der wissenschaftlichen Gesellschaft diskutierten einige der schlausten Köpfe des Landes ihre aktuellen Ideen. Ein enorm produktiver Austausch entstand; England wurde ein Zentrum der Wissenschaften. Die Zusammenarbeit hatte allerdings zur Folge, dass viel stärker als zuvor diskutiert wurde, wer der wahre Urheber einer Entdeckung sei – eine Frage von Ruhm und finanziellem Einkommen.
Isaac Newton war seit 1672 Mitglied der Royal Society. Er und viele seiner Kollegen diskutierten damals die Frage, wie man die von Kepler postulierten Gesetzmäßigkeiten der Planetenbewegung mathematisch beweisen könne. Newton gelang der Durchbruch – und er sorgte mit allen Mittel dafür, dass keiner von seinen wissenschaftlichen Diskussionspartnern irgendeine Anerkennung dafür bekam. Nein, als angenehmer Mensch war Newton nicht bekannt. Dennoch hatte er viele Anhänger, und die verherrlichten Newton bald zu einem nie dagewesenen Genie – ein Image, das schnell ins kollektive Bewusstsein einging.
Ein Beispiel für die Verklärung Newtons ist das 1728 erschienene Buch A View of Sir Isaac Newton’s Philosophy von Henry Pemberton. Ein Jahr nach Newtons Tod bot dieses Werk Erklärungen der wichtigsten Erkenntnisse des Meisters: den Gravitationsgesetzen, der Theorie des Lichts und der Infinitesimalrechnung. Pemberton wollte allerdings nicht nur Newtons Entdeckungen vermitteln, sondern auch dessen vermeintlich einzigartiges Genie verherrlichen. Selbst Mitglied der Royal Society, war er ein treuer Parteigänger Newtons. Sein Werk ist voll des überschwänglichen Lobs für Newton und von Verteidigungen seines schon damals umstrittenen Charakters. Es beinhaltet beispielsweise ein zutiefst pathetisches Gedicht von Richard Glover, das den verehrten Newton abgöttisch preist – und das auf ganzen 14 Seiten.
Pemberton verteidigte Newton bei einem besonders strittigen Thema: Dem Zeitpunkt, zu dem er seine Entdeckungen machte. Schon Newton hatte darauf bestanden, dass er alle seine Ideen im wunderbaren Jahr 1666/67 gehabt habe. Er habe sie später nur weiter verfeinert – was nachweislich nicht stimmt. Das Datum war mit Bedacht gewählt. Damals lebte Newton auf dem Land, fernab von jeder fremden Beeinflussung. Das richtete sich vor allem gegen Robert Hooke, der lautstark den Anspruch erhob, Newton einen entscheidenden Hinweis gegeben zu haben.
Diese Vordatierung entschied auch den Prioritätenstreit mit Leibniz wegen der fast zeitgleich entwickelten Methode der Infinitesimalrechnung. Erst dadurch wurde die mathematische Ableitung der Gesetze Keplers möglich. Leibniz hatte sein Buch dazu eindeutig vor Newton publiziert. Der unterstellte Leibniz, seine im Archiv der Royal Society aufbewahrten Ideen gestohlen zu haben. Newton nutzte rücksichtslos seine Position als Präsident der Royal Society, um seine Sichtweise zu verbreiten und so den Konkurrenten zu diskreditieren, was der Karriere von Leibniz nachhaltig schadete.
Schon Zeitgenossen waren von diesem Vorgehen schockiert – ein Grund, warum die euphorische Verklärung Newtons auf dem Festland verhaltener ausfiel. Anders in Großbritannien. Dort wurde Newton zu einem Aushängeschild der Nation stilisiert. In der Widmung an den Premierminister Robert Walpole und im Vorwort preiste Pemberton Newton als Stolz des ganzen Landes, dessen Ruhm Großbritannien Ansehen in der Welt verschaffe. Auch das ist ein Grund für Newtons Verklärung: Er wurde zum Aushängeschild für den wissenschaftlichen Fortschritt Großbritanniens.
Noch zu Lebzeiten konnte sich Newton an den materiellen und immateriellen Vorteilen dieser Wertschätzung erfreuen. Der Mann aus ärmlichen Verhältnissen wurde Präsident der Royal Society, erhielt den Adelstitel und das einträgliche Amt des Wardeins der königlichen Münzstätte. Sir Isaac Newton war der erste Wissenschaftler, der in der Westminster Abbey beigesetzt wurde. Hier ruht er an einem der prominentesten Plätze der bedeutenden Kirche.
5.2. Astronomie für alle
Newtons fragwürdiger Charakter und seine Verherrlichung ändern nichts daran, dass die in den Principia festgehaltenen Erkenntnisse tatsächlich bahnbrechend waren. Sie veränderten den menschlichen Blick auf das Verhältnis zwischen Erde und Weltall grundlegend. Newton verband nämlich durch sein Gravitationsgesetz erstmals Erde und Kosmos derart, dass es zwischen beiden Sphären keinen Unterschied mehr gab.
Newtons Arbeit wurde auch deshalb so bekannt, weil man den Leuten ausführlich vermittelte, wie revolutionär sie sei. Denn selbsterklärend war das, was in den hochkomplexen Principia stand, keineswegs. Die interessierten Bildungsbürger der Zeit besaßen daher statt der Principia Interpretationen anderer Autoren, die ihnen den neuesten Stand der Forschung auf leicht verständliche Art und Weise nahebrachten. Zu den bekanntesten Werken dieser Art gehört das von James Ferguson mit dem Titel Astronomy Explained Upon Sir Isaac Newton's Principles.
Ferguson (1710-1776) war selbst ein hervorragendes Beispiel für die neuen Bildungsmöglichkeiten seiner Zeit. Der Schotte hatte seine Kindheit als Schafhirte verbracht und nur für drei Monate die Schule besucht. Später erkannte ein Förderer sein Talent für die Mechanik und stellte ihm seine Bibliothek zur Verfügung. Auf dieser Basis sollte es Ferguson bis zur Mitgliedschaft in der Royal Society bringen.
Seine Leidenschaft war es, den Menschen die Wunder der Astronomie zu vermitteln. Als das, was man heute Populärwissenschaftler nennen würde, hielt er gut besuchte Vorträge im ganzen Land. Mit Astronomy Explained Upon Sir Isaac Newton's Principles wollte er Newton für diejenigen verständlich machen, die keine Mathematik studiert hatten, wie es im Titel heißt.
Auf den einführenden Seiten erklärt Ferguson die Grundlagen der Astronomie so komprimiert und einfach, dass selbst ein Kind sie verstehen konnte. Sterne wirken so klein, weil sie weit weg sind, und wäre die Sonne ebenso weit weg von der Erde, würde sie uns genauso klein vorkommen. Da die Sterne unmöglich vom Licht unserer Sonne beleuchtet sein können, müssen sie selbst wie unsere Sonne Licht ausstrahlen. Auch sind die Sterne unvorstellbar weit voneinander entfernt. Schaut man durch ein Teleskop, kann man noch viel mehr Sterne sehen als mit dem bloßen Auge – alles wichtige Grundlagen, zu denen ein Newton sich nie herabgelassen hätte, sie niederzuschreiben.
In den Kapiteln selbst geht Ferguson ins Detail, bemüht sich aber stets, verständlich zu bleiben. Zur Veranschaulichung liefert er Illustrationen wie diese, die einen Eindruck von Größe, Aussehen und Position der Planeten in unserem Sonnensystem vermittelt.
Ferguson wollte den Menschen helfen, sich den Lauf der Planeten exakt vorzustellen. Zu diesem Zweck entwarf der talentierte Mechaniker Automaten, wie er sie auf dieser Seite abbildet. Bei seinen Vorträgen führte er die beweglichen mechanischen Modelle mit enormem Erfolg vor.
Ein zeitgenössisches Gemälde gibt uns einen Eindruck von der Wirkung, die diese Automaten auf die Menschen hatten. Die neuen Dimensionen, die sie vor sich ausgebreitet sahen, beflügelten die Fantasie. Wie sah es auf den anderen Planeten aus? Waren sie bewohnt? Könnte man sie gar eines Tages bereisen?
Station 6 – Der Traum von fremden Welten
Als sich die Menschen beim Betrachten von Himmelsmodellen fragten, ob man diese Planeten eines Tages erreichen könne, war der Gedanke nicht neu. Astronomen hatten sich das schon lang gefragt – erst nur für sich, später öffentlich. Wir zeigen Ihnen eines der ersten Bücher, das sich ernsthaft mit einer Reise zum Mond und seinen potentiellen Bewohnern auseinandersetzt.
Dass die Reise ins All weit mehr ist als eine Frage des technischen Fortschritts, wurde klar, als der Mond nach dem 2. Weltkrieg in greifbare Nähe rückte. Auch wenn der Erdtrabant nicht bewohnt war, irgendwo im All mochte es intelligentes Leben geben. Und wie würde sich der Kontakt zwischen Menschen und Außerirdischen gestalten? Würde die Menschheit durch das Eingreifen überlegener, außerirdischer Zivilisationen das gleiche, schreckliche Schicksal erleiden, das einst die Einwohner der Kolonien getroffen hatte? Oder bot das Weltall eine Chance für einen Neuanfang, bei dem eine friedliche Menschheit sich vereint aufmachen würde, die Zusammenarbeit mit extraterrestrischem Leben zu suchen. Diese Frage konfrontiert uns mit unserem eigenen Wesen, unseren Ängsten und unserer Geschichte. Science-Fiction-Romane wie Die Mars-Chroniken dokumentieren das Ringen um eine Antwort.
6.1 – Die Reise zum Mond
Der deutlich am Nachthimmel stehende Mond regte die Fantasie der Menschen seit jeher an. Der erste, dessen Beschreibung einer Reise zum Mond wir besitzen, war Lukian von Samosata, der im 2. Jahrhundert n. Chr. seine Wahren Geschichten schrieb. Dies bedeutet nicht, dass Lukian diese Reise für möglich hielt. Sie galt ihm als Inbegriff des Unmöglichen. Sein Buch war eine Satire.
Die Astronomen des 17. Jahrhunderts verfolgten die Idee einer Mondreise dagegen ernsthaft. Für sie war der Mond kein Teil einer entrückten göttlichen Sphäre, sondern schlicht ein weiterer Himmelskörper. Und als solcher ließ er sich theoretisch bereisen – auch wenn es in der Praxis unzählige Hindernisse gab.
Schon Johannes Kepler machte sich Gedanken über eine Reise zum Mond, und ob auf ihm Leben existiert. Veröffentlicht hat er diese Überlegungen nie. Das war viel zu riskant in einer Zeit, in der die Kirche nicht einmal bereit war, die Erde aus der Mitte des Kosmos zu setzen.
1638 veröffentlichte ein anonymer englischer Autor eine aufsehenerregende Schrift zum Thema Mond. Die landete natürlich auf dem päpstlichen Index, aber in seiner Heimat interessierte das kaum jemanden. Als der Text 1713 erstmals auf Deutsch erschien – wir zeigen hier die deutsche Erstausgabe – gab es keinen Grund, den Namen des Autoren John Wilkins zu verheimlichen. Der war kein weltfremder Fantast: Der anglikanische Bischof gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Royal Society und ist bis heute der Einzige, der sowohl in Oxford als auch in Cambridge ein College leitete.
Inspiriert von Fantasie-Romanen seiner Zeit dachte er Keplers Ideen weiter: Wilkins verteidigte den Heliozentrismus und argumentierte, dass der Mond bewohnt sei.
Wilkins meinte, dass die Erde und der Mond sich sehr ähnlich seien. Er ging davon aus, dass die Flecken des Monds Ozeane seien und dass der Mond wie die Erde eine Atmosphäre habe, samt Wind und Regen. Wegen der Ähnlichkeit beider Planeten sei es wahrscheinlich, dass auf dem Mond ebenfalls Leben existiere. Wie die Bewohner aussähen, darüber ließe sich freilich nur spekulieren.
Abschließend erörtert Wilkins die Möglichkeit, „daß einige von unsern Nachkommen ein Mittel ausfinden dörfften, wie man in diese andere Welt gelangen“ könnte und, falls es Einwohner gäbe, „eine Bekandtschafft mit denselben haben mögte.“
Wie man genau zu Mond fliegen könne, konnte er natürlich nicht angeben. Dennoch legt Wilkins einen wunderbaren Optimismus an den Tag: „Wann wir vor allen genauer erwägen, wie durchgehends alle Künste immer mehr und mehr empor steigen, so sollen wir fast nicht mehr zweiffelen, daß dieses [= das Wissen, wie man zum Mond gelangt] unter andern Secretis auch mit der Zeit ausgefunden werden möge. Es hat jederzeit die göttliche Vorsehung diese Art an sich gehabt, daß sie uns eben nicht alles zugleich entdecket, sondern daß sie uns bißhero allgemach von der Erkändtnis eines Dinges zu dem andern geführet.“ Eine Begegnung mit den Mondmenschen sei also nur eine Frage der Zeit.
Im Jahr 1835 sah es kurz so aus, als würde Wilkins bezüglich der Mondbewohner recht behalten. Weltweit berichteten die Zeitungen, ein Astronom hätte mit einem neuartigen Teleskop Mondbewohner entdeckt, die wie eine Mischung aus Menschen und Fledermäusen aussähen. Hier sehen wir eine Illustration aus der New York Sun, die als erstes über die Entdeckung berichtete – und Urheber der Ente war. Nichtsdestotrotz glaubten einige Wochen lang viele Zeitungsleser an ein Leben auf dem Mond.
Bei den unglaublichen Fortschritten, die die Menschheit im 19. Jahrhundert machte, stellte sich manch einer gern vor, was man alles noch erreichen werde. Es entstand ein literarisches Genre, das wir heute als Science-Fiction bezeichnen. Zwar gab es schon früher Geschichten über die Möglichkeiten der Zukunft, doch Jules Verne schuf etwas Neues: Er nutzte eine spannende Handlung, um in ihr die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse didaktisch aufzubereiten. Das Infotainment des 19. Jahrhunderts. Und so können sich seine Fans noch heute darüber freuen, dass Jules Verne bereits vieles vorweggenommen hat, auch in seinem Roman Von der Erde zum Mond.
6.2. – Wir kommen in Frieden – oder?
War die Reise zum Mond vor dem 2. Weltkrieg eine Utopie gewesen, zeichnete sich danach ihre technische Machbarkeit ab. Während die Regierungen der Sowjets und Amerikaner die ersten Menschen ins All brachten, bewegte ihre Bürger eine andere Frage: Wenn man „da draußen“ wirklich auf Außerirdische träfe, wie würde das Verhältnis mit ihnen aussehen? Würden sie uns unterwerfen – oder doch wir sie? Oder wäre eine friedliche Koexistenz möglich? Dieses Thema trieb die Autoren des boomenden Science-Fiction-Genres seit den 1950er Jahren um und führte beim Blick in die Zukunft gleichzeitig tief in unsere Geschichte.
Ein hervorragendes Beispiel dafür sind die Mars-Chroniken von Ray Bradbury (1920 -2012). Sie sind eine Sammlung von Geschichten, die Bradbury zwischen 1946 und 1950 in verschiedenen der beliebten Zeitschriften-Reihen der Zeit veröffentlichte. Auf deren Titelseiten müssen zwar meistens spärlich bekleidete Damen von außerirdischen Monstern gerettet werden, aber unabhängig davon sind Bradburys Geschichten sehr tiefgründig. Immer wieder zu erkennen sind dabei die Parallelen zur Kolonialisierung Amerikas. In seinen lose zusammenhängenden Episoden brechen die Menschen im fernen Jahr 2000 zum Mars auf und treffen dort auf die Einheimischen. Eine wechselvolle Geschichte beginnt, in denen Hoffnungen aufblühen und meist enttäuscht werden: Krankheiten und Kriege wüten, die Marsianer werden ausgerottet, eine Kolonie wird errichtet, wieder verlassen und dient doch als letzte Zuflucht der Menschheit nach der Zerstörung der Erde.
Bradbury erhielt für die Mars-Chroniken zahlreiche Auszeichnungen und hat bis heute eine treue Fangemeinde. Unsere Fassung entstand 1972 als Sammlerausgabe, mit einer Auflage von 2000 Exemplaren. Sie ist spektakulär von Joseph Mugnaini illustriert und von Bradbury und dem Künstler signiert.
Nichts integriert die aktuelle Geschichte besser, als Romane, die über die Zukunft reflektieren. Bradbury verarbeitete die Auseinandersetzungen, die nach dem 2. Weltkrieg über die Entkolonialisierung Asiens und Afrikas entstanden. Er schildert in seinen Mars-Chroniken exakt die gleichen Typen, die er in seiner eigenen Zeit beim Umgang mit unterlegenen Kulturen beobachtete. Das Ergebnis ist eine Dystopie mit einem Hoffnungsschimmer: Die Marsianer sind ausgerottet, die Erde durch einen Atomkrieg zerstört, die letzten Erdbewohner werden zu den neuen Marsianern.
Die Mars-Chroniken sind nur ein Beispiel für unzählige Romane, Filme und Fernsehserien, die sich mit der Frage beschäftigen, wie unsere Zukunft im Weltall aussehen könnte. Ein weiteres spannendes Beispiel ist die Kultserie Star Trek von Gene Roddenberry. In der Welt von Star Trek sind Rassismus, Nationalismus, Krieg, Hunger und Armut überwunden. Die Menschheit lebt friedlich vereint: auf der Brücke der Enterprise arbeiten Menschen aller Hautfarben und Nationen. Die Menschheit strebt die friedliche Zusammenarbeit mit anderen Spezies an. Dabei baute Roddenberry gezielt außerirdische Kulturen ein, die unserem Egoismus einen Spiegel vorhalten. Wie ideologisch und gleichzeitig utopisch Star Trek ist, ist vielen nicht bewusst.
Angesichts der Umweltprobleme verlor die Science-Fiction in den 1980er Jahren ihren Optimismus. Technik wurde mehr und mehr als Gefahr begriffen. Und so wichen die Hochglanz-Korridore der Enterprise heruntergekommenen Szenerien wie in Alien, Blade Runner und Terminator. Selbst Star Trek führte eine neue Bedrohung ein, ein hochtechnologisiertes Cyborg-Kollektiv, das seinen Opfern jede Menschlichkeit, jede Individualität raubt.
Und damit sind wir im hier und jetzt angelangt. Wo stehen wir heute? Das Thema Raumfahrt scheint momentan für kaum noch jemanden eine Rolle zu spielen. Öffentlich wahrnehmbar sind höchstens die Versuche von Elon Musks privater SpaceX-Initiative, den Mars zu erreichen – bisher eher mit mäßigem Erfolg. Es scheint, als wären wir zurzeit eher auf unsere Erde und ihre Probleme fokussiert, statt hoffnungsvoll von den Sternen zu träumen – zurecht? Haben wir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in den Sternen verloren? Werden wir je in Kontakt mit extraterrestrischem Leben kommen, und wie werden wir mit ihm umgehen? Wird es uns gelingen, als vereinte Menschheit ins All aufzubrechen, wie es sich die Science-Fiction-Autoren erträumt haben?
Das Team des MoneyMuseums freut sich, mit Ihnen über diese Themen zu diskutieren.